VERA LOSSAU
Orte des Übergangs. Grenze und Bewegung
Prägend für meine Arbeit ist die Faszination mit einem Paradox: dem Ort des Übergangs. Übergang ist Grenze und
Bewegung, zwei Schlüsselworte für meinen künstlerischen Schaffensprozess. Dabei ist ein Widerstand gegen festgelegte
Kontextstrukturen Subtext meiner Arbeiten.
Das Motiv der Grenze und Bewegung inszeniert sich in meiner Arbeit oftmals in Form einer aktualisierten Vanitasthematik.
Dabei wird auf existierende Kunstwerke hingedeutet und bewusst Plastizität und Farbigkeit Prozessen des Verschwindens
entgegensetzt. Das Interesse am Thema Grenze funktioniert für mich auch als eine Art suchende Bewegung nach unter der
Oberfläche liegenden Ankerpunkten, die als Affinität zu mythologischen Bildern, Archetypen, Manifestationen aus der
Theologie und Kulturgeschichte in meiner Arbeit auftauchen.
Meine bildhauerischen Arbeiten gleichen daher Fundstücken: sie repräsentieren Ausgrabungsgegenstände aus der Welt der
Bilder – vergleichbar manifesten Trauminhalten, die auf latente Motive (jenseits der Grenze) hinweisen. Solche hypothetisch
aus abwesenden Strukturen herausgelösten und doch in der greifbaren, künstlerischen Arbeit gegenwärtigen „Zeitzeugen“
sind für mich oftmals subjektiv Zeugen von Gewalt, Trauer, Aggression und Grenzerfahrungen.
Wesentlich für meine Arbeit ist außerdem eine durch die Materialauswahl evozierte Berührbarkeit, welche die Verbindung
zwischen der Produktion einer Arbeit und der Rezeption unterstützt. Die Methode des Abgusses, in dem oft aus der
Erinnerung heraus ein Positiv modelliert wird, wovon ein Negativ abgenommen wird und daraufhin wieder ein ganzer
gegenständlicher Guss entsteht, hat ihre eigene Funktion: Dieser Arbeitsprozess kennzeichnet mein grundlegendes Thema
der Wandlung.
Das Motiv vom Ort des Übergangs manifestiert sich zwischen modulierbarer Erinnerung, dem Finden und Erfinden und
Umwandeln von Metaphern, Material und Stadien der Herstellung hin zu einer offenen, aber dennoch deutlichen Lesbarkeit im
Kunstobjekt, durch das Permanenz und Wandlung im Kunstwerk zusammengebracht werden. Das Schaffen singulärer und in
sich abgeschlossener Kunstobjekte verweist für mich immer auch auf die Gesamtbewegung meiner Arbeit und den darin
enthaltenen Wandel.
Obwohl ich offen in der Wahl der künstlerischen Medien bleibe, machen das Gros meiner Werke in den letzten Jahren
figurative bildhauerische Objekte, auch Wandobjekte aus, die in Hinsicht auf den jeweiligen Ausstellungsraum in
veränderbaren Kombinationen konzipiert und installiert werden.
Innerhalb meiner künstlerischen Arbeit interessieren mich vor allem archetypische Motive. Trotz ihrer Permanenz beinhalten
sie Wandel durch aktuellen und persönlichen Zugriff. Das archetypische Motiv des Todes kennzeichnet den stärksten
Wandel. Er markiert die ultimative denkbare Grenze und der Moment des Verlusts, eröffnet dunkle, aber maßlose Räume. Das
Zurückgreifen auf Versunkenes, der Hinweis auf Vergehen und Wiedererblühen durch eine Skulptur, die gegenwärtig in der
Welt ist, ist aber ein konstruktiver Akt. Beispiel: Mille Fleurs, Hund aus Pompeji
Das hiermit verknüpfte Thema des Faltenwurfs bzw. der Oberfläche in meinen skulpturalen Arbeiten evoziert zudem
Gedanken an Verhüllung, Verbergung, und spricht damit wesentlich über die Grenze zwischen Oberfläche und dem, was
dahinter ist. Beispiel: Shelterbelt, Pleurants
Der Zugriff auf kulturgeschichtliche Metaphern bedeutet ein Berühren einer Bewegung, die als Transfer von Bildern über
Raum- und Zeitgrenzen beschrieben werden kann. Beispiel: Totenköpfe Oft steht die Bezugnahme auf diese Metaphern aus
Kultur (Archäologie, kunsthistorische Elemente, Architekturfragmente, Ornamente, Kunsthandwerks- und Alltags-
gegenstände), Natur oder Psychologie (Erinnerungs- und Traumbilder) am Beginn meiner künstlerischen Arbeit.
Nicht selten taucht in diesem Zusammenhang Fragmentarisches oder Ornamentales auf: das Fragment verweist auf ein
großes Ganzes, das auf die Dimension von Zeit deutet, weil es vergangen bzw. nicht präsent ist, aber in einer Welt der
Vorstellung ad infinitum existiert. Das Ornament ist dessen Gegenpart: eine alles einschließende Struktur, die kein Ende hat
und erweiterbar ist ohne begrenzende Dimension. Beispiel: Shelterbelt, Blacks and Blues.
Meine bildhauerischen Arbeiten, die oftmals Fundstücken gleichen, umschreiben so wie ein Gedicht mit Worten was zwischen
den Zeilen hervorleuchtet. Sie indizieren und umschreiben als fiktiv geborgene Gegenstände einer imaginären Welt oder
Momente aus einem versunkenen Gedächtnis die Beweggründe meiner künstlerischen Arbeit.
Wichtig für meine Arbeit ist die Materialauswahl. Materialität und auch Farbe mit der Eigenschaft der Wärme sind Parameter.
Die spürbaren intensiven handwerklichen Prozesse unterstreichen mein Bedürfnis nach einem humanen Maßstab, nach dem
Anti-Monumentalen, dem Emotionalen. Das durch die Hände laufen eines Werkprozesses bedeutet die Umsetzung
persönlicher gegenwärtiger Energie in Modelliertes, Farbe und Oberfläche und ist charakteristisch für meine Arbeit, da sie
auch nach der Fertigstellung noch spürbar und aktiv bleibt. Berührbarkeit und Umkehrprozesse sind wichtig für die Wahl
meines jeweiligen künstlerischen Mediums und der gewählten Methode, wie beispielsweise Gusstechnik in Bronze, Kunststoff
und Polymergips. Beispiel: Rosettenfenster, Engel
Die Methode des Abgusses ist für mich ein performativer, realer d.h. berührbarer schöpferischer Akt. Sie für mich durchaus
metaphorischen oder auch konzeptuellen Wert. Die so verwendeten Materialien weisen einerseits zum Teil auf
kunsthistorisches Vokabular hin, wie Bronzeguss, Keramik und Gips. Andererseits kommen auch Werkstoffe zur Verwendung
wie Ruß, Silikon und Kunststoff, die diese Konnotationen konterkarieren und weitere Ebenen eröffnen. Mehrfachcodierungen
und autonome Bildfindungen werden dadurch ermöglicht. Pigmentiertes Epoxidharz, ähnlich einer Glasur, integriert
beispielsweise die Verlaufsspuren und Prozesse der Produktion und „friert“ zufällige Materialeigenschaften ein.
In diesem Moment ein „Einfrierens“ zeigt sich auf Materialebene zugleich auch ein Grundmotiv meiner Arbeit: die
Destabilisierung von fixierten Konstellationen und deren temporärer Rekonstruktion, Erweiterung und Aktualisierung. Wichtig
ist mir dabei, Offenheit von Strukturen zu zeigen und Momente von Absurdität herauszuarbeiten, die grundsätzlich in dem
Fixierenden von Feststellungen anzutreffen sind.
Die fertigen bildhauerischen Arbeiten auch als Teile einer größeren Bewegung zu verstehen bedeutet: sie als (vollwertige)
Einzelaspekte und Zwischenschritte zu begreifen. Je nach Tempo der Wahrnehmung entsteht ein Flimmern mit Einzelbildern,
Fragmenten eines Unterwegs-in-der-Welt-Seins.